DBSV-Stellungnahme zum Entwurf der nationalen Fußverkehrsstrategie der Bundesregierung vom 04.06.2024

Aus Sicht des DBSV wäre es notwendig, im Handlungsfeld 1 die Fußverkehrsstrategie auch zu nutzen, um die Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention voranzubringen

Der Deutsche Blinden- und Sehbehindertenverband e. V. (DBSV) vertritt als Spitzenorganisation die Interessen der Menschen, die von einer Seheinschränkung betroffen oder wegen einer bestehenden Augenerkrankung bedroht sind. Viele Augenerkrankungen treten heute erst im höheren Lebensalter auf. 2/3 der Betroffenen sind über 60 Jahre alt. Aufgrund der demographischen Entwicklung ist in Deutschland in den kommenden Jahren mit einer deutlichen Zunahme an Menschen mit Seheinschränkungen zu rechnen.


Für blinde und sehbehinderte Menschen hat die Fortbewegung zu Fuß und mit dem öffentlichen Personenverkehr eine besonders hohe Relevanz, sei es zur Erledigung von Einkäufen oder Arztbesuchen, oder zur Teilnahme an schulischen, beruflichen oder sozialen/kulturellen Aktivitäten. Radfahren oder Autofahren ist nur mit Begleitpersonen möglich.


Eine selbstbestimmte und eigenständige Mobilität zu Fuß kann aber nur gelingen, wenn der Fußverkehr sicher und barrierefrei gestaltet ist. An den aktuell in den Städten oft schnellen, dichten Fahrverkehr können sich blinde und sehbehinderte Menschen schwer anpassen. Gut ausgebaute und barrierefreie Gehwege sowie Fahrbahnen, die auch für Menschen mit Seheinschränkungen sicher überquert werden können, sind essenziell. Vor diesem Hintergrund setzt der DBSV hohe Erwartungen in eine fortschrittliche Fußverkehrsstrategie.


Der Entwurf benennt zwar an einigen Stellen Bedarfe behinderter Menschen. Barrierefreiheit als Voraussetzung für Mobilität und damit für gleichberechtigte Teilhabe am alltäglichen Leben wird offenbar aber noch nicht als gleichrangiges Ziel neben dem Umweltschutz und der Gesundheitsprävention anerkannt. Es wäre aus Sicht des DBSV aber etwa notwendig, im Handlungsfeld 1 die Fußverkehrsstrategie auch zu nutzen, um die Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention voranzubringen.


Insgesamt bleibt der Entwurf hinter den Erwartungen des DBSV leider zurück. Insbesondere vermisst der DBSV konkrete Maßnahmen- und Zeitpläne zur Verbesserung der Situation. Auch wird nicht deutlich, wie der Fußverkehr tatsächlich strategisch weiterentwickelt werden soll. Nachfolgend wird zu einigen Bedarfen näher ausgeführt:


Rechtliche Rahmenbedingungen im Bund verbessern

Obgleich es den Ländern in vielen Bereichen obliegt, für Barrierefreiheit im Verkehrsraum zu sorgen, hat auch der Bund verschiedentliche Einflussmöglichkeiten. Diese sollte er aktiv nutzen und sich dazu im Rahmen der Fußverkehrsstrategie auch verpflichten. So sind Regelungen im Straßenverkehrsgesetz und der Straßenverkehrsordnung sowie den dazugehörigen Rechtsverordnungen, wie insbesondere der Elektrokleinstfahrzeugeverordnung möglich und erforderlich, um die eigenständige und barrierefreie Mobilität von Menschen mit Behinderungen zu sichern. Darauf hat der DBSV regelmäßig in seinen Stellungnahmen hingewiesen.


So wäre es zwingend erforderlich, dass in der StVO ausdrücklich klargestellt wird, dass bei den durch die Straßenverkehrsbehörden zu treffenden Entscheidungen über die Anordnungen im Straßenverkehrsrecht den Belangen von Menschen mit Behinderungen unbedingt Rechnung zu tragen ist. Das gilt auch bei Vorhaben, die neue Verkehrskonzepte erproben sollen.

Die Leerstellen in der StVO und in den dazugehörenden Regelungen, die es Menschen mit Behinderungen bislang erschweren oder unmöglich machen, sicher und barrierefrei am Straßenverkehr teilzunehmen, sind endlich zu beseitigen.


So müssen an Kreuzungen größere Sichtfelder geschaffen werden, in denen sich Fahrende und Gehende früher und besser wahrnehmen. Dazu muss das direkt an Kreuzungen geltende Parkverbot je nach zugelassener Höchstgeschwindigkeit ausgeweitet werden. Diese Maßnahme ist auch für die bessere Sicht auf Kinder und Rollstuhl nutzende Personen wichtig, die oft von parkenden Fahrzeugen verdeckt bleiben. Die vom ruhenden Verkehr freizuhaltende Fläche sollte generell auf 10 m von der Eckausrundung verlängert werden; dieses unabhängig davon, ob ein Radweg angeordnet ist oder nicht.


Fahrzeuge und Fahrräder parken häufig an sowie auf Bodenindikatoren. Zur Umgehung müssen blinde Menschen den Leitstreifen bzw. das Bodenindikatorenfeld verlassen, wodurch sich ein Gefährdungspotential ergibt. Auf und in einem Mindestabstand von 60 cm von Bodenindikatoren muss das Halten und Parken verboten sein.


Die Pflicht, Fußgängerquerungshilfen, Fußgängerüberwege oder an Lichtzeichenanlagen innerhalb von Markierungen für die Querung zu nutzen, erfordert für blinde und sehbehinderte Menschen, dass sie auffindbar sind. Das setzt voraus, dass die dafür notwendigen Markierungen nach dem Mehr-Sinne-Prinzip gestaltet sind. Zu diesem Zweck sollten aus Sicht des DBSV Bodenindikatoren gemäß der DIN 32984 „Bodenindikatoren im öffentlichen Raum“ eingesetzt werden. Um eine konsequente Anwendung im Bereich von Fahrbahnquerungsstellen sicher zu stellen, ist es dafür notwendig, die Bodenindikatoren in die StVO aufzunehmen.


Es ist aus Sicht des DBSV dringend angezeigt, dass die mit der StVO verknüpfte Elektrokleinstfahrzeugeverordnung (EKFV) so rechtssicher weiterentwickelt wird, dass gewerblich genutzte E-Roller nicht mehr wild auf dem Gehweg abgestellt und dort zur Vermietung angeboten werden dürfen. Vielmehr sind hier gesonderte feste Abstellflächen außerhalb des Gehweges einzurichten und entsprechende Straßenverkehrsrechtliche Halte-, Abstell- und Parkregelungen zu schaffen.


Normen der baulichen Barrierefreiheit

Der DBSV begrüßt es ausdrücklich, wenn von Maßnahmen und Investitionen zur Schaffung von breiten und hindernisfreien Gehwegen sowie sicheren und barrierefreien Querungsmöglichkeiten gerade von stark belasteten Verkehrsstraßen gesprochen wird. Speziell für blinde und sehbehinderte Menschen haben diese Maßnahmen eine außerordentliche Bedeutung bei der Erlangung und Gewährleistung einer eigenständigen und selbstbestimmten Mobilität.


Bis heute mangelt es in Deutschland an der Einführung der Normen zur baulichen Barrierefreiheit im öffentlichen Raum in geltendes Recht und verhindert deren systematische und konsequente Umsetzung, unabhängig davon, in wessen Trägerschaft sich öffentliches Straßenland befindet. Dies kann nur über die Musterbauordnung und die jeweiligen Länderbauordnungen erfolgen - eine Frage von strategischer Bedeutung auch für den Fußverkehr.


Digitalisierung

Auch der DBSV sieht ein großes Potential zur Verbesserung der Situation für zu Fuß gehende Menschen durch Digitalisierung, wenn etwa eine Verlängerung der Grünphasen von Ampeln an die Bedarfe der querenden Menschen möglich wird oder Verkehrsinformationen besser zugänglich werden. Fußgängernavigationssysteme für sehbehinderte Menschen können die eigenständige Mobilität verbessern, erhöhen aber nicht unbedingt, wie im Entwurf der Fußverkehrsstrategie dargestellt, die Sicherheit im Straßenverkehr. Neue digitale Möglichkeiten sind aber kein Allheilmittel: Entscheidende Grundlage einer eigenständigen und sicheren Mobilität für blinde und sehbehinderte Menschen sind auch künftig die baulichen Rahmenbedingungen wie breite, ebene und frei zugängliche Fußwege, mit Bodenindikatoren versehene und gut einsehbare Querungsstellen, Ampelanlagen mit hör- und tastbaren Signalen, taktilen Bodenleitsystemen auf Plätzen, um nur einige Beispiele zu nennen. Digitale Angebote können eine gute Ergänzung darstellen, die bauliche Barrierefreiheit aber nicht ersetzen.


Förderprogramme

Wenn auch die Finanzierungszuständigkeit für den Fußverkehr grundsätzlich bei den Ländern liegt sollte der Bund seine Möglichkeiten zur Finanzierung im Rahmen von Förderprogrammen offensiv nutzen. Eine nationale Fußverkehrsstrategie, die diesen Namen verdient, sollte hier mehr Flagge zeigen und sich nicht nur auf organisatorische Maßnahmen beschränken.